von Dorothee Johanna Lauffer
Viele Menschen haben durch die Covid Krise die Gelegenheit bekommen, von zu Hause aus zu arbeiten. Nach dem Ende der Lockdowns sind zwar viele Mitarbeiter wieder in die Firmen zurückgekehrt, doch das hybride Arbeiten wird auch in Zukunft nicht mehr aus den Firmen wegzudenken sein.
Auch die Seminar- und Weiterbildungsanbieter mussten sich in den letzten 2 Jahren umstellen und sind vermehrt darauf umgestiegen, Online Seminare und Online Schulungen anzubieten. In diesem Artikel möchte ich beleuchten, wie sich Online Schulungen im Vergleich zu Präsenzveranstaltungen auf sensible Menschen auswirken. Zur Erinnerung: etwa 18-20% der Bevölkerung sind hochsensibel, nehmen also mehr von Ihrer Umwelt wahr, weil sie schwächere Reizfilter haben.
Durch die schwächeren Reizfilter nehmen hochsensible Menschen mehr Informationen über ihre fünf Sinne – visuell, auditiv, kinästhetisch, olfaktorisch, gustatorisch – auf, als normalsensible Menschen. Und so kann es schneller zu Reizüberflutungen kommen, wenn die fünf Sinne zu stark angesprochen werden.
In einem Präsenzseminar gibt es sehr viele unterschiedliche Reize. Nehmen wir z.b. das Setting: unbequeme Stühle, harte Tischkanten, zu helle Beleuchtung, intensive Nebengeräusche – das alles stellt für den Hochsensbilen Menschen (HSM) eine Herausforderung dar, die ihn sehr beschäftigen und ablenken kann. Dazu kommen viele unterschiedliche neue Menschen, auf die man sich einstellen muss und vielleicht sogar ein Seminar-Referent, der irgendwelche Marotten oder Angewohnheiten hat, die ein HSM besonders stark wahrnimmt und die ihn über Gebühr beschäftigen können.
Besonders begeistert sind Seminar Referenten ja oft von diesen Kennenlernspielen. Sie erinnern sich? Bälle zuwerfen, Personen mit Tiernamen merken, ellenlange Monologe von Menschen, die einen nicht interessieren – oder am schlimmsten: jetzt nehmen sich alle mal an die Hände und wir bilden einen Kennenlern-Kreis. Das ist der Horror für viele HSM, die nach meiner Erfahrung ungern fremde Menschen berühren und ebenso ungern auf dem Präsentierteller stehen.
Es sind also eine Vielzahl an belastenden Reizen vorhanden, die für den HSM einfach nur Stress bedeuten und ihn damit auch überdurchschnittlich erschöpfen.
Wenn wir nun das Online-Setting betrachten, so haben wir hier viele der genannten Faktoren nur schwach oder gar nicht ausgeprägt: jeder Teilnehmer kann sich sein eigenes Setting zusammenstellen, an seinem eigenen Schreibtisch, mit seinem eigenen Stuhl, seinen eigenen Stiften, seiner eigenen Kaffee-Sorte.
Es gibt nur eine Quelle, auf die man sich konzentrieren muss, nämlich der Bildschirm, das Zoom-Programm. Und wenn man nun einen einigermaßen fähigen Referenten hat, dann bleibt bei weitem mehr Lernstoff hängen, der HSM ist viel weniger abgelenkt, belastet und erschöpft und hat damit eine gute Lernerfahrung.
Betrachten wir jetzt noch die Argumentation bezüglich der sozialen Kontakte, denen in Seminaren soviel Wert beigemessen wird: HSM sind meiner Erfahrung nach sowieso nicht sehr offen für neue Kontakte, besonders wenn viel Smalltalk gefordert ist. Smalltalk kann einen HSM so sehr stressen, dass er erstzunehmende Fluchtgedanken verspürt. Tiefergehende Gespräche, wie sie sich ein HSM wünscht, ergeben sich eventuell erst am Abend an der Hotelbar – wo man den HSM sowieso selten antrifft und wenn dann nur für die Anstands-Halbestunde.
Bei den Unterrichtsmethoden hat sich gezeigt, dass viele der Methoden auch online – wenn auch oft in abgespeckter Version – angewendet werden können.
Zuletzt schauen wir noch auf die An- und Abreise: auch die Zugfahrt oder Busfahrt zum Präsenz-Seminar bedeutet für einen HSM zusätzlichen Stress. Ich habe noch keinen HSM kennengelernt, der Zugfahren genießt, weil er auch hier sehr vielen verschiedenen Reizen ausgesetzt ist.
Als Fazit empfehle ich hochsensiblen Menschen, vermehrt Online Seminare zu buchen, um einen Vergleich zu haben und sich ein Bild machen zu können, ob auch ihnen das Online-Format besser liegt und sie dadurch eine bessere Lernerfahrung haben.
Ich freue mich auf entsprechende Erfahrungsberichte!
Dorothee Johanna Lauffer